Von Nummer zu Nummer

Von Nummer zu Nummer

Bislang lief das WM-Geschäft für das Restaurant Mineirinha in Belo Horizonte hervorragend. Bis zu dem Tag, an dem Argentinien gegen den Iran spielte.

(Belo Horizonte)

Etwas verloren steht Mariana Lessa Ladeira in dem großen Raum. Er ist komplett gelb-grün dekoriert und die zwei Flatscreenfernseher an der Wand warten darauf, Marianas Gästen feinsten WM-Fußball zeigen zu können. Solch einen Raum zu besitzen, darauf hat die blondierte Enddreißigerin lange hingearbeitet. Einen Großteil ihres Arbeitslebens hatte sie als Hotelbedienstete und Kellnerin in den USA und Europa geschuftet. Vor einigen Jahren kehrte sie dann endlich in ihr Heimatland Brasilien zurück, um dort mit ihrem Partner und den gesamten Ersparnissen ein Restaurant aufzubauen.

»Mineirinha« heißt es – und steht nur hundert Meter vom Estádio Mineirão in Belo Horizonte entfernt. Wenn auch in den Anfangsjahren auf wackeligen Beinen. Die WM 2014 soll ihrem Geschäft einen ordentlichen Schwung geben, von den Sondereinnahmen möchte sie längst überfällige Investitionen tätigen. Das ist seit Monaten Marinas einziges Ziel.

Die ersten Wochen der WM lief alles nach Plan. Vor allem an den Tagen, an denen nebenan im Mineirão gespielt wurde, herrschte vor und nach dem Spiel Hochbetrieb. Insgesamt sechs WM-Spiele finden in Belo Horizonte statt, darunter eines der Halbfinals. Zahltage für Mariana und ihre Mitarbeiter.

Doch vergangenen Samstag, nach dem Spiel Argentinien gegen den Iran, ist auf einmal alles anders: »Schon während das Spiel noch lief, hat die Polizei auf einmal die Hälfte der Zufahrtsstraße zum Stadion gesperrt. Ausgerechnet den Teil, in dem unser Restaurant steht. Und das ohne Vorankündigung.« Nach dem Spiel konnte sich daher kein einziger der aus dem Stadion herausströmenden Zuschauer den Weg zum Mineirinha bahnen. Dabei wären vor allem die nach Messis Last-Minute-Siegtor bierdurstigen Argentinier eine hervorragende Kundschaft gewesen. Das Restaurant blieb, bis auf ein paar Anwohner, leer.

Die Absperrung: Argentinische und iranische Fans kommen nicht daran vorbei (Bild: privat)

Die Absperrung: argentinische und iranische Fans kommen nicht daran vorbei (Bild: privat)

Lucas, ein Mitarbeiter, der am Samstag dabei war, versteht nicht, warum die Aktion nicht wenigstens vorher angekündigt wurde: »Dann hätten wir niemals so viel investiert. Wir haben sogar diesmal extra den Parkplatz zum Biergarten umfunktioniert, um noch mehr Menschen bedienen zu können. Stattdessen standen wir bloß herum und sahen wie die Fans die Bars auf der anderen Seite der Absperrung bevölkerten.«

Der Vorfall ist ein Mysterium, das Mariana heute, zwei Tage später, immer noch nicht aufgeklärt hat. »Ich telefoniere schon seit früh morgens mit den lokalen Behörden, mit der Polizei, mit der Fifa«, sagt Mariana. »Keiner nennt mir eine Begründung, keiner will dafür verantwortlich sein. Die Fifa beschuldigt die Polizei, die Polizei die Behörden. Und die wiederum die Fifa.«

Polizisten und Fifa-Mitarbeiter im Stadionbereich wollten oder konnten auf Nachfrage von ecke:sócrates nichts zu dem Vorfall sagen.

Tatenlos: Die Mitarbeiter des Mineirinha am letzten Samstag (Bild: privat)

Tatenlos: Die Mitarbeiter des Mineirinha am letzten Samstag (Bild: privat)

Mariana ist verbittert. Auch die Kommunikation im Vorfeld der WM sei alles andere als ideal verlaufen. Es habe noch nicht einmal eine Informationsveranstaltung gegeben, weder für die lokalen Geschäfte noch für die Anwohner des Stadions. Und wenigstens die sollten doch Bescheid wissen. Schließlich werde die Region rund um das Stadion an Spieltagen stets für mehrere Stunden großflächig abgesperrt.

Lucas ergänzt: »Es gibt einfach keinen festen Plan, wer für was zuständig und verantwortlich ist. Mal ist es ein Fifa-Mitarbeiter, mal ein Polizist. An manchen Tagen kommt es vor, dass selbst wir Restaurant-Mitarbeiter trotz unseres Ausweises nicht in die Stadionzone gelassen werden. Dann muss die Chefin uns extra abholen.«

Letztere hat in diesem Moment noch weitere Sorgen. Schon morgen findet das nächste Spiel in Belo Horizonte statt, Costa Rica gegen England. Und Mariana weiß bis jetzt immer noch nicht Bescheid, ob ihr Teil der Straße wieder abgesperrt werden wird. »Ich muss das aber jetzt wissen. Ich muss das Essen einkaufen, die Mitarbeiter einplanen. Einen weiteren Verlust dieses Ausmaßes kann ich mir nicht leisten.« In selben Moment klingelt ihr Handy und sie geht hastig dran. Als sie auflegt, rollt sie mit den Augen: »Wieder eine neue Telefonnummer. Schon den ganzen Tag werde ich von Nummer zu Nummer weitergereicht.«

Dann muss Mariana weiterarbeiten. Es gibt trotz der Ungewissheit für morgen noch viel zu tun. Im Gehen wird sie noch ein paar enttäuschte Schlussworte los: »Es ist schon traurig. Wir zahlen unsere Steuern und tun alles dafür, ein guter Gastgeber zu sein. Damit wir stolz auf Brasilien zu sein können. Doch weder die Fifa, noch die Regierung kümmern sich um uns, um die lokale Wirtschaft. Die leben in ihrer eigenen Welt. Ungefähr 50 Meter von hier entfernt.«

So sieht es an einem gewöhnlichen Spieltag im Außenbereich des Mineirinha aus (Bild: privat)

So sieht es an einem gewöhnlichen Spieltag im Außenbereich des Mineirinha aus (Bild: privat)

Spät am Abend desselben Tages verschickt Mariana noch eine letzte SMS: »Habe den ganzen Rest des Tages telefoniert und gerade doch noch eine positive Rückmeldung für morgen bekommen. Ich hoffe nur, dass es auch wirklich klappt…«