»Das Finale ist noch nicht gespielt«

»Das Finale ist noch nicht gespielt«

Nun ist sie vorbei, die Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien. Ein Rückblick auf das Finalwochenende in Rio de Janeiro jenseits von argentinischen und deutschen Fans.

(Rio de Janeiro)

Nach der historischen Niederlage der Seleção im Halbfinale gegen Deutschland mussten sich viele Menschen in Brasilien erst einmal sammeln. Am Samstagmorgen, dem Tag des ungeliebten Spiels um Platz 3 gegen die Niederlande, ziehen dann aber doch wieder Horden gelbgrüner Fans durch die Straßen von Rio. Sie wollen zumindest den dritten Platz erreichen und damit ihre Ehre retten, so der Tenor. Zwei jungen Männern ist dies völlig egal. Es sind die Filmemacher Fausto Mota und Henrique Ligeiro, 27 und 29 Jahre alt. Den Interviewtermin legen sie auf Punkt 17 Uhr. Anstoßzeit des letzten Brasilien-Spiels. Am Treffpunkt, einer Bar in der Nähe der Metrostation Largo do Machado, setzen sie sich demonstrativ mit Rücken zum Fernseher.

»Morgen ist die WM endlich vorbei«, sagt Fausto. Kurz vor Beginn WM hat er gemeinsam mit Henrique und dem dritten im Bunde, Raoni Vidal die viel beachtete Dokumentation »Domínio Publico“ veröffentlicht. In dem rund 90-minütigen Film geht es um die Situation in den Favelas von Rio und die Demonstrationen im Zuge der WM. Seit 2011 haben die drei Material gesammelt und Menschen interviewt. Vom Favelabewohner, über den bekannten brasilianischen Journalisten Juca Kfouri bis hin zu Romario, dem Weltmeister von 1994, der jetzt Politiker ist. Herausgekommen ist ein Film, der wie kaum ein anderer einen Einblick in Favela-Problematiken wie die »Befriedung« durch die UPP oder Vertreibungen von Anwohnern gibt, aber auch die Protestbewegung 2013 von Anfang an dokumentiert.

Während im Hintergrund Robin van Persie das 1:0 für die Niederlande schießt, beginnen Fausto und Henrique zu erzählen. Wie sie eigentlich 2011 nur eine Dokumentation über den Alltag in Rios Favelas drehen wollten. Wie sie dann immer tiefer in die Materie hineingezogen wurden. Wie sie im letzten Jahr entschieden die Recherchen auszudehnen und dafür per Crowdfunding rund 116.000 Reais (rund 39.000 Euro) gesammelt haben.

»Mit dem Film möchten wir so viele Menschen wie möglich auf die Missstände in Rio vor, während und natürlich auch nach der WM aufmerksam machen«, sagt Fausto. Schon rund eine Million Menschen haben die Kurzversion des Filmes gesehen. Die ausdrucksstarken Bilder der sozialen Proteste im letzten Jahr werfen die Frage auf, warum es dieses Jahr während der WM nur zu vereinzelten Demonstrationen kam, warum die Bewegung eingeschlafen ist. »Das liegt an verschiedenen Faktoren«, sagt Henrique, der die Bewegung von Anfang an begleitet hat. »Die Repressionen der Polizei gegen Demonstranten waren massiv und haben vielen Menschen Angst eingejagt. Außerdem gab es innerhalb der Bewegung viele innere Querelen, es wurde nicht an einem Strang gezogen. Und auch die Ablenkung durch den Fußball hat ihren Teil dazu beigetragen.«

Letzterer Punkt waren für Henrique, Fausto und auch für Raoni, der im Verlauf des Gesprächs dazustößt das geringste Problem. Sie interessieren sich nicht oder nicht mehr für Fußball. Und sie ärgern sich darüber, dass der Fußball während dieser WM noch mehr aufgebauscht wurde als sonst. »Eine zweistellige Zahl von Menschen, darunter auch Jugendliche ist während der WM, während nebenan im Maracana gespielt wurde, in Rios Favelas von der Polizei erschossen worden«, sagt Fausto. »Darüber hat keine einzige große Zeitung berichtet.«

Henrique, Fausto und Raoni während des Spiels um Platz 3 (Bild: T. Zwior)

Henrique, Fausto und Raoni während des Spiels um Platz 3 (Bild: T. Zwior)

Die drei waren froh darüber, dass Brasilien im Halbfinale ausgeschieden ist. Sie hoffen nun auf andere Nachrichten als Neymars Verletzung oder Scolaris eventuellen Rücktritt, auf eine neue Art von Berichterstattung. Diese wollen sie in Zukunft mit ihren Filmen mitgestalten. Henrique ist sich sicher, dass die WM noch viele ähnliche soziale und journalistische Projekte inspiriert hat, dass viele Menschen sich nun besser organisieren werden. Das sei aber auch der einzige positive Punkt. Als später in der Bar die Fernseher ausgehen, hat keiner der drei das Endergebnis mitbekommen.

Am nächsten Tag, dem Tag des Finales, herrscht im Umkreis des Maracana-Stadions schon um 10 Uhr morgens geschäftiges Treiben. Wie immer ist das Stadion weiträumig von der Polizei abgesperrt, doch an den Sperren ballen sich die Menschen. Brasilianer, Deutsche, Argentinier. Viele wollen noch Tickets kaufen, trotz horrender Summen von bis zu 5000 Euro für maximal 120 Minuten Fußball.

Nicht weit vom Stadion entfernt liegt die Praça Sáenz Peña. Rund 200 Militärpolizisten stehen an diesem Morgen auf dem ansonsten leeren Platz und warten. Sie sind bereit ihr eigenes Finale zu spielen. Für den Finaltag erwarten sie noch einmal Demonstranten. Diese trudeln nach und nach sehr spärlich ein. Um 13 Uhr haben sich schließlich rund 400 Menschen auf dem Platz versammelt und bereiten sich vor: Singen die ersten Anti-Copa-Lieder, rollen Banner aus, halten Reden. An einer Wand werden Fotos vom letzten Jahr ausgestellt. Die Polizisten stehen drumherum. Es ist friedlich.

Auch die Polizisten sind zu Anfang der Demo an den ausgestellten Bildern interessiert (Bild: T. Zwior)

Auch die Polizisten sind zu Anfang der Demo an den ausgestellten Bildern interessiert (Bild: T. Zwior)

Auch Eron Morais Melo ist vor Ort, besser bekannt als Batman. Er ist ein Symbol der Protestbewegung, ist seit einem Jahr bei fast jeder Demonstration dabei. Seine Atrappe des WM-Pokals mit der Aufschrift »Fuck Fifa« hält er verkehrtherum. Ob es jetzt nicht etwas spät ist gegen die WM zu demonstrieren? »Es ist nie zu spät«, sagt er. »Wir werden auch nach der WM weiter demonstrieren, solange unsere Forderungen nicht erfüllt sind. Außerdem ist das Finale ja noch nicht gespielt.« Das denken auch seine Mitstreiter. Der Plan ist es während des Finales bis vors Stadion zu marschieren.

Batman steht über den Dingen. Den Pokal hält er andersherum als Philipp Lahm kurz danach nur wenige Meter entfernt (Bild: T. Zwior)

Batman steht über den Dingen. Den Pokal hält er andersherum als Philipp Lahm kurz danach nur wenige Meter entfernt (Bild: T. Zwior)

Als sich die Demonstranten, darunter auch einige Favela-Bewohner, schließlich nach einiger Zeit in Bewegung setzen, kommen sie nicht weit. Die Polizei hat in allen zum Stadion führenden Straßen Sperren errichtet und schon im Vorhinein laut Fausto Mota rund 80 Protagonisten der Bewegung festgenommen. Mit Tränengas und weiteren Festnahmen sprengt sie auch diese letzte Demonstration. Auf der Praça Sáenz Peña wird laut der Facebookseite der Veranstaltung eine große Gruppe von Demonstranten während des gesamten Spieles festgehalten. Das große Finale nebenan soll nicht gestört werden.

Weitere Hintergrundberichte rund um das Ende der WM, die Tage in Rio, den deutschen-brasilianischen Jubel und Brasiliens Zukunft folgen.

Die Geschichte, die 2007 begann, ist zu Ende gegangen (Bild: T. Zwior)

Die Geschichte, die 2007 begann, ist zu Ende gegangen (Bild: T. Zwior)